19.03.2018
Gastbeitrag von Jonas Hirschi, wissenschaftlicher Mitarbeiter Dachverband Schweizer Jugendparlamente
„Die politische Partizipation von Jugendlichen ist wichtig und sollte gefördert werden.“ Dieser zentrale Vorsatz ist in einer stolzen Demokratie wie in der Schweiz oft zu hören. Doch was bedeutet eine Förderung der politischen Partizipation von Jugendlichen genau? Unter diesem Anliegen verstehen alle etwas Anderes und es gibt kaum klare Definitionen und Modelle um das Ziel genau zu erfassen. Dieser Beitrag will etwas Licht ins Dunkel bringen.
Es ist Wahlsonntag. Sie kommen in das Wahllokal, um Ihre Stimme abzugeben. Selbstverständlich machen Sie dies nicht geheim, denn dies könnte ja Verdacht auslösen. Da Sie sowieso nicht einzelne Parteien wählen können, sondern nur einen Wahlvorschlag mit klaren Mehrheitsverhältnissen bestätigen müssen, spielt dies aber keine Rolle.
Dass solche Wahlen nicht als politische Partizipation bezeichnet werden können, ist allen klar. Dass eine solche Pseudo-Partizipation eher zu einer Befremdung als zu einer Identifikation mit dem politischen System führt, wohl ebenso. Dennoch wurden solche Vorgänge in der DDR als Wahlen bezeichnet - in der Bevölkerung nannte man den Vorgang lediglich „Zettelfalten“.
Definition der politischen Partizipation
Auch heute noch gibt es viele pseudo-partizipative Angebote – insbesondere für die Jugendlichen. PolitikerInnen treffen Jugendliche und zeigen sich interessiert an ihren Anliegen. Dennoch bleiben diese oft ohne Folge.
Doch was ist denn politische Partizipation? Wie kann der Begriff erfasst werden? Da es nur wenige Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet gibt, hat sich der DSJ als neutrales Kompetenzzentrum für politische Partizipation diesem Thema angenommen und aufgrund seiner langjährigen Erfahrung Modelle erarbeitet. Denn gerade das politische System der Schweiz mit ihren direktdemokratischen Möglichkeiten und dem Milizcharakter ist auf Wissen in diesem Bereich angewiesen – nicht zuletzt um mit partizipativen Angeboten die politische Nachwuchsförderung sicherzustellen.
So definiert der DSJ die politische Partizipation von Jugendlichen als eine kollektive Partizipationsform, bei der Jugendliche in übergeordnete Planungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Die politische Partizipation unterscheidet sich somit von der individuellen Partizipation (z.B. das Anhörungsrecht von Kindern in Scheidungsfällen der Eltern) oder kollektiver, gesellschaftlicher Partizipation (z.B. das Mitwirken in der Pfadi).
Formen der politischen Partizipation
Für zusätzliche Klarheit kann eine Kategorisierung der Partizipationsangebote anhand von sechs Formen sorgen. So können Partizipationsangebote unterschieden werden, je nachdem ob sie bezüglich des Zeitraums, der Thematik und der Methodik offen oder begrenzt sind. Ein Jugendparlament ist beispielsweise eine dauerhafte Einrichtung, in welcher die Jugendlichen selbst bestimmen welche Themen sie mit welchen Mitteln umsetzen wollen – es ist somit ein strukturelles Partizipationsangebot.
Eine Jugendmotion hingegen gibt die Methodik vor und ist somit eine instrumentelle Partizipationsform. Easyvote unterstützt die Partizipation bei bestehenden Angeboten, die bezüglich Zeitraum, Thematik und Methodik festgesetzt sind und ist somit ein unterstützendes Partizipationsangebot.
Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die verschiedenen Partizipationsformen.
Qualitätsmerkmale von partizipativen Angeboten
Unter den Partizipationsangeboten gibt es Qualitätsunterschiede. In der Wissenschaft wird die Bewertung immer noch oft mit der Partizipationsleiter von Sherry Arnstein aus dem Jahr 1969 dargestellt, welche von Manipulation bis hin zu Citizen Control reicht. Der DSJ hat ein eigenes Modell entwickelt, um verschiedene Qualitätskriterien abzubilden. Dabei wird ein Partizipationsangebot nach fünf Fragen beurteilt: In welchen Phasen des politischen Prozesses ist das Angebot eingebunden? Wie stark ist das Angebot institutionalisiert? Welche Wirkung übt das Angebot aus? Ist das Angebot jugendgerecht ausgestaltet? Können möglichst viele Personen am Angebot teilhaben?
Für die Darstellung wurde ein Spider-Diagramm gewählt. Je stärker die Fläche des Kreises ausgefüllt ist, desto eher entspricht eine Partizipationsform dem Idealbild des DSJ von politischer Partizipation von Jugendlichen. In der Praxis kann ein einzelnes Angebot kaum alle Kriterien erfüllen und es ist wichtig einen Fokus auf gewisse Kriterien zu setzen. Das Ziel sollte sein, dass durch eine vielfältiges Angebot den Kriterien nachgegangen wird.
Bedürfnis nach politischer Partizipation
All diese Überlegungen und Einschätzungen sind ja ganz nett, nützen aber wenig, wenn die Angebote nicht auch von den Jugendlichen nachgefragt werden. Tatsächlich haben gewisse Projekte Mühe genug Teilnehmende zu finden, es gibt aber auch Partizipationsangebote, die stark nachgefragt werden: So nehmen an den Sessionen des Jugendparlaments SG/AI/AR zweimal jährlich je etwa 100 Teilnehmende teil und die junge freie Liste Wünnewil-Flamatt erzielt bei Wahlen hervorragende Resultate und stellt knapp einen Fünftel der Parlamentsmitglieder.
Das Bedürfnis nach mehr Mitbestimmung zeigt sich auch in diversen Studien. So geben in der Scoop-It Umfrage 2014 und im easyvote-Politikmonitor 2016 zwischen einem Viertel und der Hälfte (je nach föderaler Ebene) der Jugendlichen an, mehr mitbestimmen zu wollen. Die Nachfrage nach politischer Partizipation ist bei der Jugend vorhanden, es kommt ganz auf die Ausgestaltung an, ob sie genügend Jugendliche anspricht. Auch sprechen nicht alle Angebote die gleichen Jugendlichen an – es gibt beispielsweise Jugendliche, die sich gerne in festen Strukturen engagieren und andere, die lieber projektorientiert oder digital mitwirken.
Um diesen unterschiedlichen Bedürfnissen nachzukommen, entwickelt der DSJ stets neue Angebote. Zudem berät und unterstützt der DSJ Gemeinden bei der Förderung der politischen Partizipation der Jugendlichen. Weitere Informationen: www.dsj.ch
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